Den Stillpoint erwarten

Das Innere im Glas dreht sich. Es glitzert. Glimmert. Alles schwirrt umher. So wie in meinem Kopf. Bilder. Wortfetzen. Fragen. Eindrücke. Ich atme. Aha – so ist es gerade.

Boahhh … dass du zu mir kommst!

Das war seine Begrüßung. Die Begrüßung der alten Eiche. Sie hat sich umarmen lassen. Hat mich gedrückt. Ist aufgeregt im Haus herumgewandert. Hat sich hingesetzt. Geweint. Um die große Schwarzföhre. „Dass das alles so schnell geht“, wundert sich die Eiche. Hmmm. „Dass du wieder da bist.“ Hmmm. Ich atme. Bleibe bei mir. Höre hin. Höre dahinter. Wie lange wir uns nicht mehr gesehen haben, werd ich gefragt. „7 Jahre“, antworte ich. „Das ist eine lange Zeit“, antwortet die Eiche daraufhin. Kurz darauf: „Sag, wie lange habe wir uns nicht gesehen?“ Ich antworte. Kurz darauf dieselbe Frage.

Achtsamkeitsglas© im Dauerschüttelmodus

Ich versuche den Stillpoint abzuwarten, bevor ich in die Analyse gehe. Bevor ich mir eingestehe, dass der alte Eichenbaum vergisst. Dass er Altes abrufen kann. Neue Informationen überfordern ihn. Hmmm. Ja, so ist es jetzt.

Und dennoch wirbeln die Glitzerpartikelchen wie verrückt durch das Glas. Ich setze es immer wieder ab. Stelle das Achtsamkeitsglas© nieder. Warte. Innerlich. Gebe ihm Zeit. Dem Glas. Dem Wirbelsturm. Dem alten Eichbaum. Warte, bis sich alles setzt. Beobachte, wie sich der Schaum langsam, ganz langsam auflöst.

Einfach nur sitzen

Einfach nur gemeinsam am Tisch zu sitzen und zu schweigen – das geht gut. Das tut gut. Ihm und mir. Seine Blicke beobachten. Ihm zuhören, wie er mit sich selbst spricht. Sich Mut zuspricht: „Das wird eine harte Zeit, Peppi. Da müssen wir jetzt durch.“

Ja, denke ich. Das wird eine harte Zeit. Ich halte inne. Wirklich?! Wird die Zeit hart? Eines meiner Mottos lautet: Dreh es um! Also drehe ich den Satz um.

Es wird eine bereichernde Zeit. Für uns. Für den alten Eichenbaum, für die große Schwarzföhre und für mich. Wir haben Zeit geschenkt bekommen. Zeit, die wir nutzen werden. So gut es uns möglich ist. Nur sitzen – ohne Kommunikation – das hätte ich vor 7 Jahren nicht gekonnt. Jetzt fällt es mir leicht. Dieselben Antworten 5x zu beantworten – ich kann es in Ruhe und mit einem Lächeln im Gesicht. Über den Tod reden – „es“ aussprechen, die Wahrheit beim Namen nennen und bei mir bleiben, wenn das Gegenüber daran kiefelt – es gelingt mir gut.

Selbstverständlich heule ich.

Am Klo. Wenn es unten rinnt, dann rinnt es oben mit. Mitten beim Frühstück, wenn ich in das Käsebrot beiße. Beim Wäsche zusammenlegen. Aha, jetzt weine ich, weil ich die Unterwäsche von der großen Föhre zusammenlege. Die Unterwäsche, die sie am Tag vor dem Beginn der Sterbereise noch getragen hat. Am Tag, bevor sie ins Krankenhaus kam. Jetzt hat sie keine feine Unterhose mehr an. Die feine Wäsche hat sie gegen Windeln eingetauscht. „Die sind auch fein“, sagt sie. Weil es einfach rinnt und sie es nicht mehr kontrollieren kann. Hmmm. Kontrolle abgeben. Hmmm. Gelingt das?

Geschichten sind in meinem Kopf

Da läutet es. Der Paketdienst ist da. Post aus Deutschland. Ein schweres Paket. Was das wohl ist?! Ich öffne neugierig. Und staune. Und lache. Weine. Heute. Gerade heute, an dem Tag, an dem ich mit Papa Mama besuchen werde. Also wir 3 wieder zusammen sein werden. Das erste Mal seit sieben Jahren. In Frieden zusammen sein werden. Gerade heute kommt Post vom Beltz-Verlag. Die Coachingkarten sind da. Die neuen Achtsamkeits- und Weisheitsgeschichten, die ich gemeinsam mit Susanne Strobach geschrieben habe. Unterlegt mit Coachingfragen von mir zur Biografiearbeit. Fragen, die ich mir stelle und die ich mir gestellt habe. Um „es“ zu verstehen. Das Leben. In all seinen Facetten. Mit all seinen Geschichten. Die sich zu einer Biografie verweben. Schlussendlich.

Die Gewordenheit erkennen

Ich bin dankbar. Jetzt, nachdem ich durch mindestens 75 Geschichten und Türen hindurchgegangen bin (in Wahrheit sind es viel mehr gewesen, eh klar), kann ich den Stillpoint aushalten. Ihn erwarten. Den Stillpoint, der nötig ist, um die Gewordenheiten der alten Eiche und der großen Föhre anzunehmen. Um das Beste aus allem zu machen. Jetzt. In diesem Moment.

Hier der Link zu den 75 Coachingkarten von Susanne Strobach und Claudia Pinkl – erhältlich bei Beltz und im gut sortierten Buchhandel

https://www.beltz.de/suche.html?tx_beltz_search%5Baction%5D=search&tx_beltz_search%5Bcontroller%5D=Search&tx_beltz_search%5BsearchTerms%5D=75%20coachingskarten%20Pinkl&cHash=59b2a860ea5382833681dcabe4ac750b