Einer von Abermillionen

Ruhe

In Pinklhausen herrscht Ruhe. Die beiden Hunde chillen auf ihren Kuschelinseln. Der Pinklmann hat sich mit einem Buch und einer Kuscheldecke (Kuscheldecke – das gibt es bei ihm sonst nie!) in den ersten Stock zurückgezogen. Und ich, Pinklfrau herself, sitzt zwischen Stiften, Kartendecks und einem neuen Moleskinschreibsachenreinbuch am Esstisch. Alle vier Kerzen brennen am Adventpfosten (nein, auch hier nix Traditionelles … die Kerzen stecken auf einem Holzstück). Der verkehrt aufgehängte Christbaum glitzert im Hintergrund. Die beiden Pinklhunde schnarchen ruhig vor sich hin.

Heiliger Abend

Den gestrigen Tag haben der Pinklmann und ich in einer unglaublichen Ruhe verbracht. Kein Stress wie früher. Komisch, aber fein! Keine langen Einkaufslisten. Ungewohnt, und gut! Keine Esgehörtsichsobesucheabgestattet, sondern Zeit mit Onkel, Schwiegereltern und Freunden aus dem Herzen heraus verbracht. Leberkässemmeln gegessen, die Hunde bewegt (oder eher von den Hunden bewegt worden), gechillt und dann in die Wohnung des Pinklmädchens gefahren. Dort mit dem Pinklfraububen und dem Pinklmann Weihnachten gefeiert. Wie beeindruckend. Wie unaufgeregt. Und dabei so schön, herzlich und gewachsen. Ja, jetzt sind sie erwachsen.

Der Nudelsalat-Topf

Das Pinklfraumädchen hat einen Nudelsalat gemacht. Dafür hat sie ganz dringend das große Reindl meiner Oma aus Hainfeld gebraucht. Weil man eben nur in diesem Reindl einen Nudelsalat machen kann, hat sie mich überzeugt. Und somit ist der Emailtopf in ihrer kleinen Wohnung am Esstisch gestanden. Spannend, hab ich mir dann gedacht. Wo der Topf schon überall war. Was der schon alles erlebt hat. Wie viele Augenblicke der schon nah am Leben dran war. Wofür der schon verwendet wurde. Und jetzt hier. In der Wohnung des Pinklfraumädchens. An ihrem ersten Weihnachten nicht daheim. Und dennoch so daheim. Weil, wenn der Nudelsalat-Topf da ist, dann ist alles gut.

Alles gut?

Am Heimweg spüre ich eine Unruhe in mir und kann sie nicht deuten. Sitze in dieser warmenumnichtzusagennichtkalten Weihnachtsnacht mit meinem Pinklmann auf der Terrasse. Still. Spürend. Plaudernd. Diskutierend. Liebevoll. Das Leben Revue passieren lassend. Ich, an den Nudelsalat-Topf denkend. Jetzt sind sie groß. Beide. Der Pinklfraubub und das Pinklfraumädchen. Leben beide selbstständig alleine in ihren Wohnungen. Er- und Beleben ihre eigene Lebensgeschichte. Brauchen uns nicht mehr. Kein Wäsche waschen, kein Kochen, keine finanzielle Abhängigkeit. Wie schön ist das. Sie stricken an ihrer eigenen Lebenskuscheldecke. Ja, wir haben es gut gemacht. Wir haben sie gut begleitet und geleitet. Ein Stück weit ihres Weges. Und dennoch spüre ich, dass…

… eine Veränderung anklopft

Ich merke, dass der verkehrt aufgehängte Christbaum in Pinklhausen mehr als nur ein Gag ist. Ich spüre, dass es Zeit ist, sich von den bis dato selbst gestrickten Lebenskuscheldecken aus Verpflichtungen, Erwartungen, Wünschen und Sorgen ein Stück weit zu verabschieden. Es ist Zeit wahrzunehmen, dass der Pinklmann und ich unser Leben neu ausrichten dürfen … sollen … wollen … nicht mehr müssen.

Loslassen

In der Ruhe sitzend und lesend hab ich dann einen Absatz gefunden, der zum Hängenbleiben anregt:

Im Kontinuum des Lebens ist der gegenwärtige Moment nur einer von Abermillionen anderer Augenblicke. Lass ihn los. Lass ihn bloß eine Geschichte sein und zieh weiter. Noch viel bessere Geschichten warten darauf erzählt zu werden…

Ja, es ist Zeit neue Geschichten zu erzählen. Alte Geschichten wie Fäden abzuschneiden, die nicht mehr verwendet werden wollen. Sich auf neue Geschichten einzulassen. Neue Farben zu wählen. Neue Geschichten mit alten zu verweben und so das Netz des Lebens aus dem Augenblick heraus zu gestalten … und so Kuscheldecken an die jeweilige Situation anzupassen … dabei eine neue Ebene des Lebens einnehmen … und so aus Abermillionen von Augenblicken neue Momente entwickeln und so das Leben weiter be- und erleben.

Fotoquelle: https://www.pexels.com/de-de/foto/kunst-muster-kreis-entwurf-4219614/