Wieder daheim

Jetzt sitze ich da, in meinem Esszimmer und schaue versonnen auf den schönen alten Teller mit dem Silberrand, der seit heute in meinem Besitz ist. Jener Teller, der aus dem Nachlass meiner geliebten Ramsauer-Oma ist. Und der seit vielen Jahren im Haus meiner Eltern in der Vitrine stand. Ich lächle. Das Rosa im Teller passt perfekt zum Rosa der Hortensien, die ich mir gestern selber gekauft habe. Es darf wieder Leben ins Haus, hab ich mir gedacht.

Schon wieder da?!

Als ich heute wieder in die Blumenhütte kam, hat mich die Blumenfee angelächelt. Ja, ich bin schon wieder da. Und ja, bitte, auch heute wieder eine Hortensie. Die schönste Hortensie, die gerade im Laden ist. Bitte mit einer feinen kleinen Masche dran. Ja, gerne in einem Weinrot. Das passt perfekt.

Ich lächle. Diese gesprenkelte Hortensienblüte in den bezaubernden grün-weinrot-altrosa Tönen, die passt wirklich perfekt. Zum Haus. Zu ihr. Und zu ihrem letzten Daheim. Liebevoll trage ich sie ins Auto und stecke sie vorsichtig in den Wäschekorb, in dem die sauberen Sachen für Papa sind. Eine Hortensie im Wäschekorb. Naja, das ist auch neu, schmunzle ich und mache mich auf den Weg zu meinem nächsten Treffen.

Ich bin schon da!

Nach einigen Minuten Autofahrt bin ich am Ziel. Steige aus und öffne mit einer Leichtigkeit die Türe. Guten Tag, ich bin schon da! Das höre ich mich sagen und dabei frage ich mich, ob sie wohl schon bereit ist. Bereit für den Weg nach Hause.

Ah, da ist sie. Ich sehe einen Karton auf dem Tisch. Daneben die Unterlagen. Bestattung Kunz. Wir begleiten Sie. Ah, das gehört wohl dazu, überlege ich. Nach einem feinen Gespräch mit einer äußerst emphatischen Dame greife ich nach der Box. Jössas – so schwer ist das?! Nein, also das habe ich ganz falsch eingeschätzt. Merke, dass ich mit meiner Aufmerksamkeit nicht voll bei ihr war. Nein, so hat sie sich das Abholen auch nicht verdient, schelte ich mich leise. Ich hole Luft. Das erste Mal heute ganz bewusst. Dann schaue ich den Karton an. Beinahe verbeugend flüstere ich ihr zu: „Auf gehts, Mama. Ich bring dich nach Hause. Komm, wir gehen.“

Ich habe sie mitgebracht

Ich stelle den Karton auf den Boden und sage zu ihr, dass sie hier gut steht und ich heute besonders sorgsam fahren werde. Als ich in ihrem Heimatort einbiege, raune ich ihr zu: „Von hier an kennst du den Weg.“ Bei Papa angekommen, lasse ich sie noch ein wenig im Auto stehen. Solange zumindest, bis der Spaziergänger auch da ist. Nach einiger Zeit des Plauderns mit der alten Eiche, gehe ich hinaus. Ich trage sie vorsichtig in ihrer Box die Stiegen rauf. Als ich über die Schwelle gehe, zwinkere ich ihr zu: „Du hast es geschafft. Du bist wieder daheim.“

Und wie sagen wir es ihm jetzt? Der Spaziergänger stupst mich an. Ich nicke. Das mache ich schon. Bleib du bei ihm, stupse ich unter dem Tisch als Antwort retour. Also gehe ich hinaus ins Vorzimmer und hebe die Box liebevoll hoch. Jetzt bringe ich dich zu deinem Mann, flüstere ich ihr zu. Komm, wir zwei machen das jetzt! Langsam, achtsam und dennoch lebendig trage ich sie ins Esszimmer. „Schau mal, Papa. Ich habe da eine Blume mitgebracht.“ Die alte Eiche schaut mich an. „Für Mama. Schau mal, ich habe sie auch mitgebracht.“

Was, sie ist da?!

Mein Sohn, der Spaziergänger, hilft mir. Er zieht den Karton ab. Ich halte ein grün-marmoriertes Behältnis in der Hand. Schau, Mama ist wieder daheim. Ich hebe die Urne ein Stück weiter in die Höhe und drehe sie bewusst zu Papa. Langsam versteht er. Tränen füllen seine Augen. Laufen über die Wangen. „Da ist meine Karin drinnen? Das ist meine Karin? Was?! Sie ist wieder da?!“ Wir sitzen um den Tisch. Papa. Christoph. Ich. Nur wir drei. Niemand mehr und niemand weniger. Der kleine Schmetterling, meine Tochter ist nicht da. Das ist ok. Völlig ok. Der Musikmacher ist auch nicht da. Auch das ist in Ordnung. Wir haben im pinklischen Familienrat beschlossen, dass wir uns aufteilen. Auch heute beim Heimkommen. So, wie wir uns die Besuche und Verpflegungen aufteilen. Dass wir es einfach so machen. Uns an keine So-gehört-es sich-Mentalität halten wollen. Wir schauen auf die alte Eiche. Versuchen das Beste aus dem momentanen Leben zu machen. Wollen, dass auch unser Leben weitergeht.

Ja, sie ist wieder daheim. Stellen sie an unterschiedliche Plätze im Haus. Einfach nur, damit Mama weiß, dass sie daheim ist. Und auch, damit Papa merkt, dass sie wieder bei ihm ist. Dann kommt Mama an jenen Platz, um den wir angesucht haben. Im Wohnzimmer. Dort in der Vitrine, wo der Teller von Oma bisher lag. Ich lege ein weinrotes Deckchen hin. Stelle die Urne drauf und flüstere ihr zu: Schau, deine Handarbeit trägt dich.“ Ein Windlicht zur linken, die Hortensie zur rechten Seite. Das Buch „Zeit“, das ihr bester Freund vor vielen Jahren geschrieben hat, stelle ich neben eine kleine Uhr, die seit Jahren nicht mehr geht. Die Zeiger richte ich so, dass sie die Sterbestunde von Mama anzeigen. Ich bin zufrieden.

Bevor ich gehe, streichle ich über die Urne. So, Mama, jetzt bist du wieder daheim.