Müde, so müde


09.09.2022 / Claudia Pinkl /

Der Weg von Triest über Slowenien hat sich gezogen wie ein Apfelstrudel. Nur, dass ein gezogener Apfelstrudel nicht sooo anstrengend, ermüdend, nervend und unruhig ist. Der Weg hat kein Ende genommen. Die Leute sind so eigen gefahren – da gab es keinen Rhythmus. Kein Fließen. Nur ein Vor. Bremsen. Zack. Schneiden. Vorfetzen. Sogar als Beifahrerin war es – hmmm. Es hat müde gemacht.

Ich fahr zu Mama

Kurz nachdem wir daheim angekommen sind, habe ich mich auf den Weg zur großen Föhre gemacht. Ein eigener Druck auf der Brust hat mich bis zum Zimmer begleitet. Klopf, klopf. Sorgsam öffne ich die Türe. Leise betrete ich den Raum. Ohhhh. Sie schläft. Ganz leise, so dass ich sie nicht wecke, hole ich mir einen Sessel und setze mich neben ihr Bett. Ich betrachte sie. Die Augen sind heute weit hinten, denke ich. Und die Haut wirkt fahl, weiß mit einem leichten Gelbstich. Das Gefühl, das mich bis zum Eingang des Lebens.Med begleitet hat, hat mich mittlerweile gefunden.

Es drückt

Während ich da neben ihr sitze und ihre raue Hände streichle, besuchen mich Erinnerungen aus vergangenen Tagen. Aus der Kindheit, als ich englischen Tee mit ihr heimlich im Wohnzimmer getrunken habe. Weil eigentlich trinkt man Tee bei Tisch, hat sie mir damals zugezwinkert. Ich glaube, es war das einzige Mal, dass ich Tee aus dem Sammelservice von Tante Olga mit ihr auf der Wohnzimmergarnitur sitzend getrunken habe. Ich lächle müde.

Die Traurigkeit – jetzt kann ich das Gefühl wenigstens benennen – wartet sichtlich auch auf einen Tee. So penetrant, wie sie sich da neben, auf und in mir breit macht.

Händchen halten

Während ich Mama streichle und ihre Hände halte, laufen mir die Tränen ungebremst über die Wange. Ich weiß nicht, ob ich über den Mundschutz froh sein soll – zumindest fängt er alle meinen Tränen auf. Die große Föhre, die bis dato die Augen geschlossen hat, beginnt mit ihrem Daumen meinen Handrücken zu streicheln. Verdammt, denke ich, jetzt ist sie es, die mich tröstet. Jetzt ist sie es, die mir Halt gibt. Die mich wissen lässt, dass sie weiß, wie es mir geht. Eine Tränenflut stürzt aus meinen Augen – echt, als ich in der Wetter-App heute gelesen habe, dass es stark regnen wird, da hab ich nicht damit gerechnet, dass meine Tränenaktivität damit gemeint war.

Stille

Ich bin sicherlich 45 Minuten in Stille bei Mama gesessen. In Stille – hin und wieder mit Schluchz- und Schnäutzgeräuschen zwischendurch. Aber das war wirklich leise. Kein Elefantengedröhne oder hyperventilierendes Heulen. Trotz meiner Trauer habe ich versucht Stille einzuhalten. Um den Weg, den meine Mutter gerade Stück für Stück geht, nicht mit unnötigen Geräuschen oder unachtsamen Handlungen zu stören.

Anders der Besuch der anderen Dame, die auch im Zimmer der Schwarzföhre liegt. Da wurde laut der Sessel geschoben. Geflucht, über diesen blöden Knopf mit dem man dieses de**erte Bett umstellen kann. Und warum die Dame denn nichts essen will und stattdessen nur müde dreinschaut. Sie müsse jetzt endlich was essen, weil sie sonst nicht groß und stark werden würde. Hmmmm – groß und stark?! Kindersprüche bei kranken, gebrechlichen Menschen?!

Ich frage mich – seit langer Zeit bereits und leider immer noch – was passieren würde, wenn Menschen hören könnten, wie abwertend sie über sich, über andere, über Situationen und Gegenstände (auf die andere Menschen angewiesen) sind sprechen. Ob sie verstehen würden, welche Energien sie damit aussenden?

Ich weiß, dass meine Energie heute nicht unbedingt nur positiv war. Aber sie war ehrlich. Kam aus meinem Herzen und war schlussendlich wohl heilsam für Mama und für mich.



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