Über den Ernst des Lebens


14.09.2022 / Claudia Pinkl /

Als ich vor einigen Tagen mein Elternhaus betreten habe, habe ich eine Gottesanbeterin auf der Terrasse in der Abendsonne sitzen gesehen. Boahhh, schon lange nicht mehr ein solches Tier gesehen, hab ich mir gedacht. Die Gottesanbeterin frisst ja die Männchen nach dem Sex. Hmmm – was bin ich froh, dass ich keine Gottesanbeterin bin. Das muss ja der volle Stress sein.

Beim gemeinsamen Besuch mit dem Schmetterling sehen wir zwei Gottesanbeterinnen auf der Hausmauer krabbeln. Ohhh – was soll mir das sagen, frage ich den Schmetterling. Mama, nicht alles „muss dir was sagen“, meint die Tochter, doch die Blutrünstigkeit ließ mich nicht in Ruhe.

Nur wenn sie Hunger hat

Während ich Blog schreibe, knotze ich neben dem Musikmacher auf der überdachten Terrasse und lausche dem Regen. Pinklmann, bitte google mal, warum Gottesanbeterinnen nach der Paarung die Männchen fressen! Ein klarer Auftrag. Seine Antwort: Weil sie es kann und weil sie Hunger hat. Ich reiße die Augen auf. Der Musikmacher setzt nach, das nicht alle Weibchen die Männchen fressen. Außer sie haben Hunger.

Gut, ich bin eindeutig keine Gottesanbeterin. Hungrig bin ich schon – beinahe fast immer, aber meinen Mann fressen – nein, das kommt mir nicht in den Sinn.

Meine Gedanken wandern zur großen Schwarzföhre. Heute waren es 10 Löffeln Suppe, die ich ihr einflößen durfte. Im Geheimen. Also das Füttern mein ich. Das ist unser Geheimnis. Weil so „tief“ wollte sie nie sinken. Hmmm – ich verstehe was sie meint. Dennoch bin ich froh, wenn sie sich helfen lässt. Aber sich helfen lassen, das war noch nicht das Ding meiner Eltern.

Du hast auch nicht abgewischt!

Nachdem ich die verlängerte Hand für Mamas 3 Löffeln Suppe „gemacht“ habe und sie ein wenig gegrinst hat, war ich beim 4. Löffel unaufmerksam. Tropf – ein Minisuppenpatzen tropft auf das Batterl, das ich ihr zur Sicherheit umgelegt habe. In einem mehr als klaren, um nicht zu sagen sehr herrschenden Ton hab ich zu hören bekommen: „Weil du den Löffel auch nicht von unten abgewischt hast!“ Ohhhh. Ahhhhhh. Ähhhhhm. Also. Nun. Ja. Meine Güte. Ein Tropfen auf dem Batterl. Na und?! Mach dir nicht ins Hemd, hab ich mir gedacht.

Den Gedanken hab ich schnell wieder zurückgenommen. Es war mir dann auch gleich ein bisschen unangenehm, weil ich mit meiner Aufmerksamkeit nicht bei ihr und dem war, was ich gemacht habe: sie füttern. Angewiesen auf andere sein, ist nicht fein. In so einer Situation gefangen zu sein, muss heftig sein. Ich sollte mit etwas mehr Ernst bei der Sache sein, hab ich mich gescholten.

Die Geschichte vom Ernst

Da fällt mir wieder die Geschichte ein, die Mama vom Ernst des Lebens erzählt hat. Der Ernst des Lebens, von dem wir alle glauben, dass er ungut, böse, mühsam und anstrengend ist. Der, der mit Schulbeginn eintritt. Denn dann beginnt der „Ernst des Lebens“. Was aber, wenn der Ernst ein voll liebes Kind ist, neben dem man in der 1. Klasse zu sitzen kommt und mit dem man Freundschaft schließt?!

Ich denke nach. Hmmmm. Plaudere mit Mama über die Geschichte. Sie lächelt mich an und meint: „Ich mag den Ernst des Lebens.“ Ahhhh. Hmmm. Nun, in ihrer aktuellen Situation vielleicht ein ganz guter Zugang…

Als ich später von meinen Vater wieder heimfahren will, klettert eine Gottesanbeterin auf meinem Reifen herum. Ich frage mich, was mir das sagen soll…



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