Achtsame Apfelräder


Raus mit dem Heuler!

Letzten Freitag. Ich hab für mein Seminar am Wochenende alles vorbereitet und sitze erledigt auf der pinklischen Terrasse. Da kommt der Pinklmann um die Ecke gehuscht, schaut mich verliebt an und meint: „Heute ist es soweit! Dieser Abend gehört uns. In 20 Minuten fahren wir los nach Lembach ins Gasthaus Stocker. Mach dich hübsch.“

Eine besondere Nacht wartet auf uns

Tatsächlich. 20 Minuten später sitze ich neugierig neben meinem Herzensmenschen und wir sind unterwegs, um uns ein Abendessen zu holen. Sausen durch kleine und größere Ortschaften in unserem Oldtimer. Ein besonderer Zauber liegt in der Luft. Entschleunigt. Lustig. Ruhig und dennoch laut. Fremde Menschen winken uns zu und ich versinke im Erleben. Bin präsent im Jetzt. Nehme das Brummen wahr. Den Benzingeruch. Spüre den Fahrtwind. Atme tief und lächle. Ja, die Fahrt alleine ist schon von einem Zauber umgeben…. Ich bin verzaubert in meiner verlangsamten, werbelosen, aus sich selbst heraus gewachsenen Welt.

Ein Kleinod

Mein Pinklmann hat für uns einen Tisch im Gasthaus der Kräuterwirtin Gerda Stocker in Lembach reserviert, das zu unserem Oldtimer passt. Die Zeit scheint dort stehen geblieben zu sein. Die Schank – aus Omas Zeiten. Der Gastgarten erzählt Geschichten aus früheren Jahren. Die riesige, mit Efeu bewachsenen Hausmauer gleicht einer Wohnhausanlage – gefühlte 200 Spatzen flattern herum, piepsen und bringen eine zusätzlich entzückende Lebendigkeit in dieses ruhige Kleinod. Ich sitze, atme, staune, spüre, freue mich und rede nur das Nötigste mit meinem Pinklmann. Als das Essen gebracht wird, versinken wir beide in gelebter Achtsamkeit. Die Suppe – einfach, erdig, unaufgeregt aufregend. Wie bei Oma, denk ich mir. Das Backhenderl – g’schmackig, fein, einfach Henderl. Der Salat – rote Rüben, die nach Rüben schmecken. Paradeis, die das Paradies widerspiegeln. Das Kraut – zum Niederknien. Einfach. Ohne Geschmacksverstärker unvergleichlich. In meinem Mund geht ein Feuerwerk an Geschmacksexplosionen ab, verursacht durch verschiedene Kräuter.

Einfach und schlicht, obwohl groß und reichhaltig

Ja. Das Essen schmeckt so einfach. Schlicht und schlank. Übertrumpft sich nicht mit zusätzlichen Quergeschmäckern. Schmückt sich auch nicht mit aufgesetztem Gschisti-Gschasti. Jeder Geschmack kann sich aufgrund seiner Einfachheit und Besonderheit in allen Facetten entfalten. Weil scheinbar jedem und allem der Raum gegeben wird, der ihm zusteht. Weil Gewachsenes, Gereiftes, Gekochtes voller Leben ist und diesem mit Demut, Dankbarkeit und Ruhe begegnet wurde. Das ist zu schmecken, zu riechen, zu spüren und zu sehen.

So anders – was für ein Unterschied

Während Pinklmann und Pinklfrau den Abend und die Speisen und den Gastgarten und die Getränke und die – mittlerweile – schlafen gegangenen Spatzen genießen, bedient uns der Kellner anders als sonst jemals irgendwo erlebt. Im ersten Moment bin ich verwirrt. Es braucht eine Zeit, bis im Pinklfraukopf ein Licht aufgeht… Und dann ist es klar. Er geht … bleibt vor dem Tisch stehen … nimmt Position ein … atmet unmerkbar für Unwissende in sich hinein … und wieder aus … nimmt Blickkontakt auf … übergibt die Speisen … lächelt … wünscht einen guten Appetit … richtet sich erneut aus … geht … Schritt für Schritt … bis zu den Stufen, die in Richtung Küche führen. Bleibt auf dem unteren Treppenabsatz stehen … richtet sich aus … und geht Stufe für Stufe in einer Achtsamkeit, wie ich es in der Gastgewerbe noch nie gesehen hab. Ich staune. Juble. Könnte weinen vor Glück. Bin vom Zauber zutiefst berührt. Und rieche daraufhin an meinem Wein. Halte ihn zum Ohr. Benetze meine Lippe und höre ihm zu. Lasse mich von seinem Zauber berühren…

Ja, das ist mindfulness 

Ich beobachte den Kellner weiter. Würde am liebsten mit ihm mitgehen. Eine kleine Achtsamkeitsrunde durch das Gasthaus gehen. Bemerke kleine Details. Spüre seine innere Ruhe. Werde dadurch noch ruhiger und entspannter und hab das Gefühl, weiteren Geschmacksknospen in mir Raum zu geben.

Nach den unglaublichen Apfelrädern, die den Spät-Sommertag in meinem Mund entfalten, frage ich den Ausderküchebringendenspeisenboten unverblümt, ob er meditiere. Der Blick war jedes Gold der Welt wert…  Ja, jeden Tag. Und ich frage nach, ob er immer so achtsam, bedacht, ausgerichtet, frei von Bewertung und mit den Augen eines Kindes die Gäste bedient. Der Blick war diesmal Diamanten wert. Ja, er geht – wenn es sich ins Tagesgeschäft einbauen lässt – die Stiegen Schritt für Schritt achtsam. Da ist er ganz bei sich, sagt er. Und ich strahle ihn an. Dafür. Strahle, wie eine Hunderter-Birne aus den Sechziger-Jahren. Bin hin und weg. Unendlich berührt. Hab das Gefühl, Sterne und Erde gleichsam in mir zu spüren. Merke, wie gut es tut, zu sehen, dass es mehrere gibt, die so denken, leben, sind …

Sternenklarer Himmel

Den Heimweg erleben Pinklmann und Pinklfrau schweigend. Während unser Heuler gleichmäßig brummt, beobachtet ich die Sterne am Himmel. Wie oft hab ich auf sie schon geschaut? Wie selbstverständlich waren sie bis dato für mich?  Und doch: Wie anders zeigen sie sich heute? Nach diesem Abend. Welchen Eindruck hinterlässt dieser Abend in uns? In mir? Was macht dieser Abend mit meinem Leben? Mit meinem Sein? Mit meiner Arbeit? Und hinterlässt das Gespräch mit dem Kellner auch bei ihm Spuren? Weiß die Wirtin um die besondere Art des zauberhaften Mannes?

Auf die beiden letzten Fragen kann ich keine Antwort geben. Aber ich weiß: ICH musste es niederschreiben. Hab es jedem und allen erzählt. Auch meinen angehenden Kinesiologinnen, die ich gerade ausbilde. Und ich weiß:

Den unglaublich schönen Sternenhimmel hab ich auf der Heimfahrt der Kräuterwirtin Gerda Stocker, ihren Helferleins und ihrem achtsamen Küchenboten gewidmet. In meinem Herzen. Weil da, da kann sogar die Pinklfrau Sterne vergeben…

Fotoquelle: privat

 



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